Benjamin Groß gehört in Rüsselsheim mittlerweile zum Inventar. Der ehemalige Jugendspieler der Frankfurter Löwen ist aus dem Verein kaum noch wegzudenken. Nun ist es an der Zeit, ihn zu würdigen.
Erster Vorsitzender, Stürmer, Verteidiger, neuerdings auch Torhüter: Wenn man über Benjamin Groß nachdenkt, kommt einem sofort das Wort »Omnipräsent« in den Sinn — und schnell herrscht Klarheit darüber, dass man sich hier mit jemandem auseinandersetzt, der mit großem Herzblut bei der Sache ist und sich voll für den Verein ins Zeug legt, zugleich aber ewig mit sich selbst zu hadern scheint. »Es geht immer noch ein bisschen mehr«, sagt er stets, wenn man lobende Worte für ihn findet. Das ist seine Philosophie. Für ihn birgt diese Einstellung jedoch Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil er sich nach einer durchwachsenen Trainingseinheit selbst vor ein Rätsel stellt und Segen, weil es ihn an vielen Tagen beflügelt und häufig zu Bestleistungen anstachelt.
Vielseitigkeit ist Trumpf
Vermutlich liegt darin auch das Geheimnis seiner sportlichen Vielseitigkeit versteckt. Keine Position auf dem Spielfeld bereitet dem 1986 geborenen Nauheimer, der in der Jugend in Nordamerika lebte und daher schon früh mit dem Hockey-Virus angesteckt wurde, größere Probleme. Für ihn ist es ein Klacks, die komplette Woche über im Tor zu trainieren, um dann irgendwo auf einem hessischen Inlinehockeyplatz an einem glutheißen Samstagnachmittag in der Oberliga als Stürmer herumzuwirbeln.
Aber auch zwischen den Pfosten schwitzt er mittlerweile gerne im Ligabetrieb, wenn einmal Not am Mann ist. In der laufenden Saison stand seine Feuertaufe als Keeper auf dem Programm. Auf diesen Moment hatte er sich zuvor monatelang akribisch vorbereitet. Bei den Mainprimaten Frankfurt feierte er seine Premiere — und brachte die gegnerischen Spieler gerade in der ersten Halbzeit mit zahlreichen Glanzparaden zur Verzweiflung. Zwar ging das Spiel schlussendlich verloren, aber das lag vor allem daran, dass der RRSC rund zwanzig Minuten vor dem Ende einbrach und er dutzende Schüsse um die Ohren geknallt bekam. Irgendwann ist auch der beste Keeper weich geschossen. Dennoch bleibt festzuhalten: Groß erfüllte seine Aufgabe mit Bravour.
So wie er es eigentlich immer macht, wenn es um die Rüsselsheim Royals geht. Die neue Ära, die 2016 nach dem gerade noch abgewendeten Vereinskollaps eingeleitet wurde, ist eng mit seinem Namen verbunden. »Beni«, wie ihn seine Teamkollegen rufen, übernahm im Jahr 2015 gemeinsam mit Tim Bornhausen den Club. Zu diesem Zeitpunkt lag der Verein komplett am Boden. Die Zukunft der Inlinehockey-Mannschaft, die unter dem Dach des Rüsselsheimer Roll- und Schlittschuh-Clubs seit Mitte der 1990er Jahre beheimatet ist, dümpelte vor sich hin. Spieler waren Mangelware, in der Kabine roch es nicht nur nach vergammelter Hockey-Kleidung, sondern nach Endstation.
Manchmal leben Totgesagte aber länger. Frei nach dieser Phrase krempelten Bornhausen und Groß die Ärmel hoch und schlugen in den Wintermonaten mächtig auf die Werbetrommel. Schnell entschieden sich einige Eishockey-Kollegen dazu, ab Frühjahr 2016 für den RRSC auf Torejagd zu gehen. Rund ein Jahr später stiegen die Royals mit einer neuformierten Truppe als Landesliga-Vizemeister in die Oberliga auf. »Ich bin einfach nur froh, ein Teil dieser Geschichte zu sein«, sagte Groß einmal in einem Interview, als er von der hauseigenen Presseabteilung auf diesen Erfolg angesprochen wurde. Recht bescheidene Worte für jemanden, der einen gewaltigen Anteil an der jüngsten sportlichen Erfolgsgeschichte sein Eigen nennen darf — und wenn sich diese Person nichts weiter entlocken lässt, müssen eben andere herhalten. Daher führt der Weg direkt in die Mannschaftskabine. Was wäre wohl naheliegender, als den Kapitän auf die Personalie Groß anzusprechen?
Lobeshymnen von den Teamkollegen
»Er ist das Mädchen für alles. Er denkt an so vieles, vor allem an die Dinge, die andere gar nicht auf dem Schirm haben. Ohne ihn würde es den Verein heute nicht mehr in dieser Form geben. Auf dem Feld ist er eine Kampfsau, gegen ihn ist es wirklich unangenehm zu spielen, gerade weil er so schnell ist. Zum Glück wechselt er jetzt ins Tor, da muss man nicht mehr so viel rennen (lacht). Da ist er aber auch verdammt gut«, plaudert Janik Schwedler, der schon einige Zeit gemeinsam mit Groß auf dem Feld steht, aus dem Nähkästchen.
Beni the Goalie
Pressewart Stefan Swoboda nennt ihn aufgrund seiner Schnelligkeit einfach nur »Flash« und fügt hinzu, dass »Groß zu den Typen im Kader zählt, vor denen wirklich alle Respekt haben. Einer, der nicht den großen Zampano raushängen lässt, sondern sich um seine Schützlinge kümmert und versucht, den Laden zusammenzuhalten.« Teamkollege Timo Dombrowski hat ebenfalls eine Meinung: »Beni ist ein guter Typ, der für jeden Spaß zu haben ist. Das macht ihn auch abseits des Spielfeldes zu einem wichtigen Team-Mitglied.« Goalie Tom Kocurek beschreibt ihn als sehr hilfsbereiten und sozial kompetenten Mitspieler, der auf dem Feld vor allem durch seine Schnelligkeit glänzt.
Wohnzimmer Sommerdamm
Der Hockeyplatz am Sommerdamm ist in den letzten Jahren definitiv so etwas wie sein zweites Wohnzimmer geworden. Oft ist er der Erste der kommt, und noch viel häufiger der Letzte, der das Vereinsheim verlässt. Schließlich gibt es immer irgendwelche Dinge, die es zu erledigen gilt. Ob Instandsetzungsarbeiten an der Bande, nervige Tornetzflickerei-Orgien, Pucksuche nach dem Training oder das Kehren des Vereinsgeländes: Groß ist stets dabei, wenn es darum geht, diese mitunter schweißtreibenden Arbeiten zu übernehmen. Auf ihn kann man sich immer verlassen. Kaum einer identifiziert sich so sehr mit dem Club wie er. Groß brennt einfach für die Royals — und lebt das auch bei jedem Zusammentreffen vor. Auch über die Zukunft des Vereins grübelt er unentwegt. Das können dann schon einmal abendfüllende Beschäftigungen werden.
»Wenn er in seiner Freizeit nicht gerade den Rüsselsheimer Ostpark beim Discgolf unsicher macht oder sich um seine Familie kümmert, ist er stets für die Royals da, wenn es mal irgendwo brennt. Dazu ist er einer der wenigen Handwerker im Team. Einer der anpackt, erst vor kurzem hat er wieder das Flutlicht in Gang gebracht«, erzählt Mitspieler Dombrowski. Ganz nebenbei hat Groß auch noch organisatorisch viel um die Ohren. Der Ligabetrieb regelt sich eben nicht von alleine. Auch mit diesen Dingen muss er sich immer wieder beschäftigen. So ein bisschen ist er daher auch der Vater der Kompanie, wenn man diese Formulierung bei jemandem anwenden darf, der gerade Anfang Dreißig ist.
Manchmal mit Rumpelstilzchen-Faktor
Eines kann Groß allerdings gar nicht ab: Ungerechtigkeit, beispielsweise eine fragwürdige Schiedsrichter-Entscheidung oder eine unfaire Aktion eines Gegenspielers, nervt ihn dermaßen, dass auf dem Feld mitunter Detonationsgefahr herrscht. Im Star Trek-Universum würde in diesem Augenblick der rote Alarm ausgelöst werden. Er kann sich dann so in Rage reden, dass es besser ist, ihn solange nicht anzusprechen, bis der Beni-Vulkan keine heiße Lava mehr spuckt.
»Wenn er das Gefühl bekommt, benachteiligt zu werden, ist nicht gut Kirschen essen mit unserer Nummer 82. Dann sollte man warten, bis er sich wieder beruhigt hat und nicht mehr so emotional unterwegs ist. Normalerweise dauert das nicht allzu lange«, erzählt Swoboda mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Goalie Kocurek, der Groß in der Kabine gegenübersitzt, hat den Kern der Sache ausgemacht: »Beni hat eben viel Temperament«, weiß er zu berichten. Unter dem Strich ist das aber halb so wild. Schließlich lässt er sich dadurch nicht zu unfairen Aktionen hinreißen. Vielmehr handelt es sich hierbei um nichts weiter als eine kleine Macke, die ihn nicht weniger sympathisch rüberkommen lässt. Schließlich hat der liebe Gott jedem Menschen bei dessen Geburt eine Eigenart in die Wiege gelegt.
Aber jetzt genug der großen Worte. Für all den Einsatz, den er in den letzten Jahren gebracht hat, bekommt er heute die Aufnahme in die Hall of Fame der Rüsselsheim Royals. Da spielt es auch keine Rolle, wie lange er dabei ist. In den wenigen Jahren hat er bereits große Dinge vollbracht — und dafür wird er nun geehrt. Willkommen in der Ruhmeshalle, Benjamin Groß!
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